1230 Kilometer mit über 10.000 Höhenmetern 

Lokalsport SH Nord 

Schlaflos im Sattel: Vier Schleswiger Randonneure erleben „geniale Tour“ durch Frankreich 

Schleswiger Nachrichten, sh:z , von Holger Petersen, 17.11.2023, 17.01 Uhr 

Ein Quartett des Radsportvereins Schleswig meistert das älteste traditionelle Langstreckenrennen der Welt 

„Es war eine geniale Tour.“ Doris Zimmer (59) aus Böklund gerät auch mit einigen zeitlichen Abstand immer noch ins Schwärmen, wenn sie an ihr großes Radsport-Abenteuer, das sie gemeinsam mit drei anderen Mitgliedern des Radsportvereins Schleswig vor kurzem gewagt und auch gemeistert hat, zurückdenkt: Paris-Brest-Paris (PBP), das älteste und alle vier Jahre stattfindende Langstreckenrennen der Welt.

„Die Gedanken an dieses unglaubliche Event werden mir noch ein Leben lang ein Lächeln auf die Lippen zaubern“, sagte Arne Hamkens (49) nach der fast viertägigen (Tor-)Tour, deren Zutaten nicht für jedermann zu verdauen sind: eine 1230 Kilometer lange Distanz, ein durchgehend hügeliges Streckenprofil mit über 10 000 Höhenmetern, eine Fahrtzeit um die 90 Stunden, kaum Schlaf. Und dennoch sagte Christian Jensen (51), dessen Fitnessuhr am Ende einen Verbrauch von 50 050 Kalorien registriert hatte, nach den Strapazen im Sattel: „Das nächste PBP findet 2027 hoffentlich wieder mit meiner Beteiligung statt.“

Glücklich: Christian Jensen im Ziel, FOTO PRIVAT

Der schnellste der vier Randonneure von der Schlei war Michael Jensen. Der 50-Jährige erreichte das Ziel nach 70:21 Stunden, während seine Vereinsfreunde 84, 88 und 91 Stunden für das sogenannte Brevet (Prüfung), das weniger ein Rennen und mehr eine persönliche Herausforderung ist, benötigte. Auf die Frage, worauf es bei diesem Wettbewerb ankommt, sagte Jensen: „Es geht darum, sich nicht zu überlasten und sich nicht zu fragen, warum man so etwas Beklopptes macht. Der Kopf bestimmt letztlich das Limit des Körpers.“

4860 Finisher im Zeitlimit 

Vive la France! Neben dem Quartett vom Radsportverein Schleswig standen 6432 Radfahrer am Start in Rambouillet (50 Kilometer südwestlich von Paris). 4860 von ihnen finishten in dem selbstgewählten Zeitlimit, das entweder 80, 84 oder 90 Stunden betrug. Auf der Strecke gab es alle 80, 90 Kilometer Kontrollstationen mit Verpflegung, Dusch- und Schlafmöglichkeit, Erste Hilfe und Reparaturservice fürs Rad. Die meisten Teilnehmer fuhren mit Navigerät.

„Der Kopf bestimmt letztlich das Limit des Körpers.“ Michael Jensen RV Schleswig 

Fahren, essen, schlafen, das Rad checken – und dann wieder fahren, essen, schlafen. So lautete das Programm der Aktiven. Und genießen! „Die Stimmung an der Strecke ist unbeschreiblich. Frankreich ist echt fahrradverrückt“, berichtete Christian Jensen. In fast jedem Dorf sah man jubelnde Franzosen, die für jeden Fahrer Beifall klatschten und die private Stände aufgebaut hatten, an denen Wasser, süße Getränke und Snacks gereicht wurden. 

Ein kurzes Vergnügen: schlafende Randonneure, FOTO PRIVAT

„Toll waren die vielen Gespräche und das gemeinsame Lachen mit Leuten aus den unterschiedlichsten Nationen. Völkerverständigung, wie sie besser nicht geht“, sagte Doris Zimmer begeistert. Da waren die extrem schmerzenden Füße aufgrund des Dauerdrucks auf die Pedalen, die tauben Finger und der eklatante Schlafmangel – es wurde schon mal mit dem Kopf auf einem Tisch oder auf drei zusammengeschobenen Stühlen für eine halbe Stunde genickt – schnell vergessen.  

Warum tut man sich das an? „Ich liebe es besonders, nachts in einer Gruppe unterwegs zu sein“, sagte Michael Jensen. Das Zischen der Reifen und Schnarren der Ketten klinge bei Dunkelheit viel intensiver und setze pures Adrenalin frei. „Wenn man dann noch mit hoher Geschwindigkeit durch menschenleere Bergdörfer oder über große Marktplätze brettert, fühlt sich das echt abgefahren an. Zu wissen, dass man etwas tut, wovon andere sich überhaupt nicht vorstellen können, dass es geht.“ 

Nächtliche An- und Abfahrt an einer Kontrollstation, FOTO PRIVAT

Und Doris Zimmer meinte dazu: „Du erlebst so intensiv die Landschaft, die Pflanzen- und Tierwelt, das Wetter und die Gerüche und bist eins mit dem Rad. Ich bin dann voll bei mir und sehr glücklich“, so die 59-jährige RVS-Abteilungsleiterin aus Böklund , die auf eine Wiederholung in vier Jahren hofft.

Crêpestation verpasst 

Das tut auch Arne Hamkens, der nach 84 Stunden und 47 Minuten inklusive acht Stunden Schlaf das Ziel in der Nähe von Paris erreichte. „Ich werde 2027 wiederkommen müssen, weil ich leider die Crêpestation von Paul verpasst habe“, sagte der 49-Jährige lachend. „Vive le velo“.

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