Radtour in Italien 2021

Auf Straßen, die immer einwandfrei in Schuss sind. Von Doris Zimmer

Mit meiner Radfreundin Uli aus Freiburg radelte ich in der ersten Augusthälfte 2021 den italienischen Abschnitt der Euroveloroute 5 – die sich gesamt über 3200 km ab Canterbury in England bis Süditalien erstreckt – von Milano nach Rom. Sie verläuft dort auf dem alten Pilgerweg Via Francigena durch verschiedene Provinzen und Landschaften in Norditalien. Wir fuhren kurzfristig entschlossen und mit leichtem Zeltgepäck, es waren Übernachtungen auf Campingplätzen oder in Unterkünften vorgesehen. Am 3.August war Start bei angenehmen mittleren Temperaturen. 

Der Anfang der Tour war geprägt durch die ebenen Strecken in der Lombardei entlang von Kanälen, übergehend in die landwirtschaftlich genutzte Poebene, über die man von den hohen Deichen aus einen weiten Blick hatte. Der träge dahinströmende breite Fluss war zumeist von hohen Waldsäumen eingefasst, die vielen Pappelplantagen fielen auf. Von den Tomatenfeldern auf der roten Erde musste man einfach naschen, diesen Geschmack haben wir im Norden schon lange verloren. Unsere Vorbereitung war der Kürze der Zeit geschuldet mangelhaft und so legten wir uns in Fidenza Ersatzschläuche zu, nachdem ich morgens vor einem Hotel schon hatte flicken müssen. Eine Attraktion für die italienische Besitzerin und mehrere Hotelgäste, die den gesamten Vorgang bis zum Ende fasziniert mitverfolgten. Leider entwickelte sich gleich am Anfang auch Spiel im Tretlager und sollte das Fahren in den folgenden Tagen anstrengender machen.

Bei der Überquerung des apenninischen Gebirges auf dem Weg an die italienische Riviera stauten sich die Wolkenfronten an den Berggipfeln und der Starkregen lief schließlich nur noch in Strömen durch die Kleidung und die steile Straße hinunter. Als noch Gewitter dazukam, fuhren wir schon fast ungerührt weiter und arbeiteten uns durch den Anstieg. Uli rettete sich zwischendurch ins Trockene, indem sie kurzentschlossen einfach in eine Werkstatt am Weg eindrang. Wir passierten idyllisch gelegene Bergdörfer, darunter Pontremoli mit der alten Festung und der Sammlung aus menschlichen Stelen, die in der Umgebung gefundenen wurden. Daneben aber auch unzählige verfallene Häuser, Zeugen des harten Lebens auf den steilen Berghängen. Nach mehreren Passquerungen fuhren wir auf der sonnigen südlichen Seite an die Küste bei La Spezia ab und erreichten über schwer zu fahrende Sandpisten im Schilfsaum des Magra-Flussdeltas das Meer. Ein grandioser Anblick und das unendliche Glücksgefühl des Unterwegsseins überwältigten uns! 

Der touristischen Küste folgten wir dann aber nur kurz und bogen über kleine Dörfer wieder an die apenninischen Gebirgsausläufer der Provinz Emilia Romagna ab. Olivenhaine, Zypressen und Pinien prägten das Landschaftsbild sowie steile Anstiege und Abfahrten, mal mit Serpentinen, allzu oft aber auch einfach gerade und steil bergan. Wehrhafte Stadtmauern prägten die oft hoch gelegenen Orte wie in San Gimignano aus dem 12. Jahrhundert, gegen die früheren Angriffe der Römer gerichtet. Immer häufiger verliefen jetzt die Radstrecken von den Wanderstrecken des Pilgerweges getrennt. Als wir eine Abkürzung fahren wollten, gerieten wir auf die Fusswegstrecke und mussten mit den Rädern eine ausgedehnte und tiefgelegene Talniederung aus Grobschotter und fast völlig zugewachsenen schmalen Pfaden mit Stachelgebüschen durchqueren, zudem so gut wie unbesiedelt. Auf der anderen Talseite schoben wir die Räder die wilden und staubigen Schotterpfade schwitzend wieder hoch. Für einen 55 km-Abschnitt brauchten wir an dem Tag 5 Stunden. Nur der unerwartete Fund von Stachelschweinborsten in der völlig abgelegenen Gegend versöhnte mich mit dem anstrengenden Abstecher und ist heute meine schönste Erinnerung an Italien.

In unregelmäßigen Abständen waren entlang des Pilgerweges öffentliche Wasserstellen verfügbar und hier trafen wir auf andere Wanderer und Radler und tauschten uns aus. Auch wurde das Wetter zunehmend heißer und wir hörten von den ersten Waldbränden. Ein Teil unserer Strecke war Bestandteil der Eroica Montalcino, wir trafen einen Radler auf der langen Runde, der sichtlich mitgenommen von einigen der steilen Anstiege auf Schotterstrecken erzählte. Als in einem Hotel offenbar sämtliche Wasserrohre ungedämmt hinter unserer Zimmerwand verliefen und ich nicht einschlafen konnte, packte ich den Schlafsack aus und übernachtete kurzerhand bei meinem Fahrrad  im Keller. Hier war es wunderbar ruhig und die entgeisterten Blicke der Hotelangestellten am nächsten Tag unbezahlbar. Wir trafen einen jungen Pilger zu Fuß, der im August vergleichsweise spät in Rom gestartet war, aber sich gut gelaunt für dieses Jahr die gesamte Strecke, bis Canterbury vorgenommen hatte. Wir drücken die Daumen! 

Das bekannte Siena erwies sich als sehr touristisch überlaufen, aber auf den folgenden Strecken erlebten wir die  Toscana von ihrer schönsten Seite und waren überwältigt von den Farben und dem Licht in dieser Landschaft, die Fotos muteten wie Gemälde an. Buon viaggio! Der Ausruf galt oft uns, aber ebenso oft riefen wir ihn mittlerweile anderen Mitreisenden zu und winkten. Einige von ihnen hatten wir nun schon mehrfach getroffen und tauschten dann die Erlebnisse des Tages aus. Einen Abend fragten wir an einem christlichen Pilgerheim und durften mit im Garten zelten. In San

Quirico trennten wir uns für zweieinhalb Tage und ich fuhr nach einem Tipp einen Abstecher in die

Berge um Cana, mit der besten Pizzeria dieser Reise. Zufälligerweise gastierte dort an diesem

Abend eine Rockgruppe auch mit vielen italienischen tanzbaren Songs, und so wurde es in der

Nacht spät. Dafür hatte ich am nächsten Tag eine lange Abfahrt aus den Bergen vor mir, zum ersten Mal wurden die Finger vom Bremsen taub. Ich traf am Nachmittag zwei Radler aus Berlin und wir fuhren auf besonders kalkstaubigen und gleissend weiß leuchtenden Feldwegen in glühender Hitze zusammen weiter. Halt machten wir ab und zu unter dem geringen Schatten von nur zwei bis drei Meter hohen Gebüschen. Als uns dann in einem kleinen Ort Straßenarbeiter auf einen öffentlich zugänglichen Wasserschlauch hinwiesen, waren wir innerhalb von Sekunden alle lachend von oben bis unten durchnässt. Später erreichten wir den See Bolsena und auch hier gab es nur noch eins: Wasser! Abkühlen! Weil die beiden vorhatten, lange auszuschlafen, übernachtete ich an diesem Abend alleine wild auf einer verdorrten Wiese und erlebte morgens, wie ein Hängebauchschwein gemächlich an mir vorbeischlenderte. Mittendrin in einer großartigen Abenteuerreise…! 

Ich fuhr in den frühen Morgenstunden weiter, um der mittlerweile unerträglichen Mittagshitze auszuweichen, und passierte alte Felsengräber sowie einen traditionellen, zwischen steilen Felswänden schmal eingeschnittenen Abschnitt des Pilgerweges bei Viterbo. Später geriet ich versehentlich ein Stück auf eine Autostraße. Dies schien zwar niemanden zu stören, aber ich bog trotzdem bald auf einen Feldweg ab und erreichte so einen Campingplatz am See Bracciano. Uli traf

am späten Nachmittag ebenfalls dort ein und war durch die glühende Hitze gezeichnet, die Temperaturen lagen jetzt bei gut über 35 Grad. Schwimmen!

Am nächsten Morgen fuhren wir am Südende des Sees in Richtung Rom ab, der Verkehr auf den

Straßen wurde zunehmend dichter. Wir erreichten die Vorstädte, bogen am Tiber wieder auf die

Pilgerroute ein und folgten der begrünten Strecke bis in die Innenstadt. Der erste Halt war an der Piazza del Populo und ich konnte nicht anders, als um den weiten gepflasterten Platz einige Runden mit dem Rad zu drehen, Rom! Die erstaunlichste Stadt des Universums! Ein riesiges Glücksgefühl durchströmte uns wieder einmal. Wir ließen uns Zeit und alles auf uns wirken, Parco de Borghese,

Colosseum, Trevi Brunnen, Forum Romanum, die alte Geschichte an vielen Stellen mitten in der Stadt, darunter auch die Reste einer Insula, eines mehrstöckigen Wohnhauses, um die stark anwachsende Bevölkerung damals unterzubringen, und natürlich die unendlich vielen Menschen, Einheimische und Besucher. Vor allem Jüngere fuhren flott und geschickt mit den überall vorhandenen Leihrollern durch die Straßen. Eine Bürgergarde verteilte kostenlos Wasserflaschen, um Kreislaufzusammenbrüche bei den Menschen zu verhindern, die Temperaturen näherten sich heute fast der 40 Grad-Marke. Das Problem überquellender Müllbehälter und der an vielen Ecken und in Nischen abgelagerte Unrat. Einmal ertappte ich mich, mein Eistütenpapier einfach wie die Italiener über die Schulter zu schmeißen, wohin auch damit? Im letzten Augenblick hielt ich in der Bewegung inne und musste über mich selbst lachen, Verhalten steckt an? Am nächsten Morgen hatten wir unser gemeinsames Abschlussfrühstück, mit den italienischen Croissants und Espresso…

Ich blieb insgesamt drei Tage in dieser faszinierenden Stadt und erlebte den Petersplatz und die vielen Sehenswürdigkeiten in verzaubernder Stimmung nachts. An den römischen Straßenverkehr gewöhnte ich mich schnell, auf dem Rad wurden von den ortskundigen FahrerInnen Ampeln komplett ignoriert und man fuhr jeweils in den nächsten Abzweiger vor, um sich dann selbst abzusichern. Dies schien von allen akzeptiert und galt offenbar ebenso für Roller, Motorräder und Taxis. Über den Zustrom von Flüchtlingen und die entlang des Tibers aufgebauten Zelte und Notbehelfe herrschte unter den Einheimischen eine große Sprachlosigkeit, niemand wollte darauf eingehen. Und schließlich erlebte ich den endgültigen Temperaturrekord von zuletzt tatsächlich 40 Grad in Rom!

Zum Schluss vielen Dank wieder einmal für eine wunderbare Radtour, die überwältigende Natur, Kultur, viel Pizza, tolle Rotweine, das leckere Pistazieneis, vielfältige Erlebnisse, lange und schwer fahrbare Schotterpisten und steile Anstiege inbegriffen, manchmal seltsame Schweine in der Wildnis, herzlichen Dank für die private Übernachtung in Cana und ganz besonders auch an Uli für den Spaß am Radeln und den Humor! Gesamt mit Seitenabstecher von der Pilgerroute kamen so in Italien für mich etwa 1040 km Strecke zusammen, bei gerundet 9600 Höhenmetern. 

Aus allen Winkeln der bekannten Welt führen moderne, sichere Straßen wie schon seit langer, langer Zeit immer geradewegs nach Rom, der erstaunlichsten Stadt des Universums……. Ave und mille grazie! 

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